
Vom Einzelkämpfer zum Teamplayer
HANDELN STATT HADERN
„Im Jahre 2017 stand ich kurz vor der Pleite“, gibt Scharf offen zu, der damals schon auf 13 Jahre Arbeit als selbstständiger Gastronom zurückblicken konnte. Die Zahlen waren schlecht, die Mitarbeiter liefen dem gelernten Hotelkaufmann davon. Anstatt zu resignieren, setzte er sich mit seinen Führungskräften an einen Tisch, um zu überlegen, wie es weitergehen kann. Schnell wurde ihm klar: „Der Fisch stinkt vom Kopf, denn Mitarbeiter trennen sich nicht von Unternehmen, sondern von Vorgesetzten!“ Mit dieser Einsicht ausgestattet, begann Scharf damit, sein Unternehmen und vor allem sich selbst umzukrempeln. Für seine eigene Persönlichkeitsentwicklung fand er zunächst Inspiration beim bekannten Führungskräfte-Coach Dieter Lange. Er bildete sich selbst stetig weiter und begann parallel, seinen Mitarbeitern die gleichen Chancen zu bieten. „2017 waren die Erfüllungsquoten am Gast schlecht, dadurch sank der Umsatz. Das lag aber eigentlich daran, dass wir einfach nicht mehr das qualifizierte Personal bekommen haben, das wir brauchten“, resümiert Scharf. Gleichzeitig waren die Personalkosten enorm hoch, weil er und seine Führungskräfte immer wieder versuchten, mangelndeKompetenzen mit Masse auszugleichen. Ihm wurde schnell klar, dass alle überfordert waren, weil es einfach nicht gelang, weniger qualifiziertes Personal in den Betrieb zu integrieren.

GLÜCK UND VERSTAND
Dass Scharf und sein Team bereits 2017 mit dem Personalmangel zu kämpfen hatten, bezeichnet er heute als reinen Glücksfall: Es verschaffte ihm Zeit, aus dem Teufelskreis herauszukommen, in dem sich mittlerweile große Teile der Branche befinden. „Es ist einfach so, dass sich die Qualifikationen und Erwartungen vieler junger Menschen, die heute auf den Arbeitsmarkt strömen, verändert haben“, so der Unternehmer. Anstatt sich weiter über Bildungsdefizite und mangelnde Sozialkompetenz aufzuregen und seine verbliebenen Fachkräfte zu überfordern, reifte der Entschluss, künftig in das Personal zu investieren. Mittlerweile hat Scharf zwei Mitarbeiter zu zertifizierten Team Coaches ausbilden lassen. Fachkräfte durchlaufen bei Scharf mindestens ein bis zwei Führungskräftetrainings, absolvieren die Ausbildereignung und werden in Sachen Selbstführung sowie in der Methodik geschult, die es braucht, um Inhalte vernünftig zu vermitteln. Aber auch ungelernte Kräfte, Aushilfen und Azubis werden mit einbezogen: „Wir wagen das Schwerste und sprechen mit den Menschen. Bei uns sitzen die Führungskräfte regelmäßig mit den Azubis und Mitarbeitern zusammen und sprechen miteinander. Wenn wir wissen, was die Mitarbeiter bewegt, dann kann man da als Unternehmer ansetzen und gemeinsam versuchen, das für seine Mitarbeiter zu erbringen“, erklärt Scharf.
WERTSCHÄTZUNG ALS SOLIDE BASIS
Im Jahr 2020 machte Scharf seine Vision einer positiven ArbeiTskultur zum Projekt „I Love Gastro“. Die Grundpfeiler: Wertschätzung, Weiterentwicklung, Honorierung. „Das profanste Beispiel ist, dass ich mir vorgenommen habe, zweimal pro Tag durch jeden meiner Betriebe zu gehen und meine Mitarbeitenden zu begrüßen. Ich möchte dabei allen das Gefühl geben, dass es gut ist, dass sie da sind“, so Scharf. Dieses Vorhaben gelingt ihm nicht immer, da er mittlerweile auch Aufträge als Key-Note-Speaker oder Trainer hat. Wenn man ihn jedoch bei seinem Rundgang begleitet, dann ist die positive Stimmung, die Kommunikation auf Augenhöhe und die Wertschätzung füreinander deutlich zu spüren. Diese Augenhöhe ist Scharf auch bei der Auswahl seiner Lieferanten wichtig. Ein Großteil seiner Produkte bezieht er von Service-Bund Gesellschafter List in Goslar, wo er seit 2005 Kunde ist. Vor allem die serviceorientierte Betreuung und das Vertrauensverhältnis zu Kundenberater Christian Koch weiß der Gastronom zu schätzen. Je nach Lagerkapazitäten werden die Betriebe zwischen zwei- und viermal pro Woche von List angefahren. Das Produktportfolio ist je nach Betrieb sehr unterschiedlich. Einen absoluten Favoriten im Service-Bund Sortiment hat Alexander Scharf trotzdem: „Ich finde die Rodeo Cuts von der Familie Solassi aus Argentinien sehr gut. Die Konstanz in Sachen Qualität und die Verlässlichkeit der Zuschnitte ist wirklich außergewöhnlich.“

STEILE LERNKURVE
Vereinbarungen zu tauschen. Beispielsweise habe ich das Kurzarbeitergeld stets aufgestockt. Dafür habe ich gegenüber meinem Team offen kommuniziert, dass ich dafür bei jedem drei Joker frei habe, wenn die Möglichkeit besteht, das Geld wieder reinzuholen, indem man z. B. einspringt.“ Die genauen Modalitäten hat Scharf zusammen mit seinem Team aufgeschrieben im sogenannten Playbook. Allerdings nicht starr, denn in Workshops und Seminaren arbeiten alle fortlaufend daran, wie man Regeln für ein entspanntes und faires Miteinander justieren kann. Wer sich für einen Job in den Betrieben von Scharfs Gastro Urban GmbH interessiert, dem macht Scharf dieses Playbook ganz transparent auf der Homepage zugänglich. Neben einer fairen Bezahlung haben die Mitarbeitenden die Möglichkeit, Bikeleasing zu nutzen, nach dreimal einspringen gibt es einen Tankoder Einkaufsgutschein. Auch ein Memberprogramm existiert, bei dem es Rabatte bei Partnern und in der Freizeit der Mitarbeitenden auf Speisen und Getränke in den Betrieben der Gastro Urban GmbH gibt. Zusätzlich können die Angestellten fünf Familienmitglieder oder Freunde benennen, denen dieser Rabatt zugutekommt. „Wir haben aktuell 60 Prozent von dem erreicht, was ich mir so vorstelle. Dabei geht es aber nicht nur um mich, sondern vielmehr darum, mein Team mitzunehmen auf diese Mission der Weiterentwicklung“, so Scharf. Er empfi ehlt, sich mal die Frage zu stellen, was eine Arbeit zu einer guten Arbeit macht. „Wer seinen Job nur noch macht, um seine Rechnungen zubezahlen, den kann ich auf meine Mission nicht mitnehmen“, so der Teamplayer.
AB AUFS SPIELFELD
Natürlich kann er auch Zweifler verstehen, denn am Ende müssen die finanziellen Mittel vorhanden sein, um alle umzusetzen. Für seine eigenen Betriebe sieht er jedoch keine Alsternative, auch wenn das streckenweise mal den Gewinn schmälert: „Die Zeiten, in denen Mitarbeiter dafür arbeiten, dass der Gastronom mit einem dicken Auto vorfährt, die sind längst vorbei“, stellt er in den Raum. Für ihn sind seine Betriebe vielmehr ein Spielfeld, auf das er seine Mitarbeiter einlädt, nicht nur am Spiel teilzunehmen, sondern auch die Regeln mitzugestalten.“ Umso größer war bei allen die Freude über den Gewinn des Fizzz Award im September 2022 in der Kategorie „Arbeitgeber des Jahres“, welcher jährlich vom gleichnamigen Branchenmagazin verliehen wird. Zusätzlich hat Alexander Scharf den 3. Platz beim Hospitality HR Award der Deutschen Hotel Akademie gewonnen. „Erst waren wir enttäuscht, dass wir nur den dritten Platz belegt haben. Aber als uns klar wurde, mit welchen Hochkarätern der Branche wir ausgezeichnet worden sind, war das schon eine grandiose Bestätigung“, freut sich Scharf. Auchdie Tatsache, dass drei Auszubildende direkt aus dem harten Lockdown in 2021 ihre Prüfung bestanden haben, hat alle darin bestärkt, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Denn alle drei konnten und wollten übernommen werden, und so hat das Team der Gastro Urban GmbH drei weitere Fachkräfte.

DIE TEAMLEISTUNG ZÄHLT
Natürlich geht die harte Realität auch nicht an den Betrieben der Gastro Urban GmbH vorbei. Auch die Goslarer haben mit gestiegenen Preisen und Energiekosten zu kämpfen. Um Sparpotenziale auszumachen, hat Alexander Scharf sein Team mit einbezogen und einen Workshop veranstaltet. Einige Altgeräte wurden daraufhin ausgetauscht, weil die Neuanschaffung rentabler war. Es wurde aber auch hinterfragt, ob mehrere Fritteusen gleichzeitig laufen müssen oder der Gasherd auf Sparfl amme bleiben kann, wenn keine Bons reinkommen. Insgesamt ist dabei eine lange Liste herausgekommen, an der sich jeder im Team orientieren kann und es auch tut. „Ich mache keine Ideen im stillen Kämmerchen für michaus, bei jeder Herausforderung nehme ich meine Mitarbeiter mit, das ist immer eine Teamleistung“, so Scharf. Klar ist auch, dass die Preise für Speisen und Getränke angehoben werden mussten, aber nicht mit blindem Aktionismus. Vielmehr geht es darum, den Gästen gegenüber zu kommunizieren, dass sie auch willkommen sind, wenn sie weniger ausgeben. „Wir wollen die Leute nicht ausgrenzen, und ich sehe uns da in der Pfl icht, Angebote zu schaffen, die unseren Gästen auch weiterhin die Teilnahme am sozialen Leben ermöglichen“, so Scharf.
In der Umsetzung haben er und sein Team deshalb frühzeitig eine Kampagne für den Herbst und Winter konzipiert. Neben Sparangeboten, wie z. B. dem Cocktail-Dienstag, dem Schnitzel-Spartag am Mittwoch oder einem Kaffee-und-Kuchen-Angebot,wurden auch neue Gerichte auf die Karte gesetzt, die den Geldbeutel schonen. Außerdem essen Kinder unter sechs Jahren immer kostenlos, und Liebhaber von Kaffee und Tee können Bonus-Stempel sammeln. Neben Flyern in den Betrieben sind natürlich alle digitalen Kanäle wie Facebook, Instagram und die jeweiligen Webseiten der Betriebe mit in die Kampagne einbezogen worden. Darüber hinaus nutzt Scharf diese Kanäle auch, um die Erfolgsgeschichten, die Lovestorys über seine Mitarbeiter, zu veröffentlichen: „Das kommt bei meinen Leuten super an!“ Deshalb beschäftigt der Gastro-Profi neben einer Social-Media-Managerin seit Dezember 2022 auch eine Mitarbeiterin, die sich nur um das Marketing kümmert. Denn auch wenn die Zeiten aktuell vielleicht schwieriger sind, die Weiterentwicklung seiner Betriebe und seiner Teams treibt Alexander Scharf trotzdem voran: „Ich weiß nicht, ob ich mir das finanziell auf Dauer leisten kann, aber ich weiß, dass wir diese Weiterentwicklung brauchen. Jetzt stehen zu bleiben, ist keine Option. Also All in!“
Daten, Zahlen, Fakten
Zur Gastro Urban GmbH gehören vier Gastronomien, ein Hotel und mehrere Appartements:
• Tim’s: Ganztagesgastronomie mit vielschichtiger Gästestruktur von SchülerInnen bis zu SeniorInnen
• Schiefer: Lifestyle-Gastronomie mit hausgemachten Pizzen und hochwertigen Steaks
• Wildfang: Die moderne Wirtschaft für alle Tageszeiten speziell für Einheimische
• mycoffee: Klassischer Coffeeshop mit Siebträgermaschine, Shakes, Kuchen und frisch gebrannten Mandeln
• Schiefer Suite-Hotel und Apartment:
Klein, fein und mitten in der Altstadt von Goslar
• 103 Mitarbeiter, davon 14 Auszubildende, eine Dualstudentin. Knapp 50 Prozent der Angestellten sind Fachkräfte.


